Damals, in den 1970ern, standen WAS IST WAS – Bücher aus dem Hause Tessloff mal für kindgerechte Bildung. Für viele waren die dünnen Hardcover-Bücher im handfreundlichen DIN-A4-Format der erste vertiefende Kontakt mit systematisch aufbereitetem Wissen zu unterschiedlichen Themengebieten. Nicht selten legte die Bücherreihe den Grundstein für eine wissenschaftliche Karriere, ein ausgefallenes Hobby oder überhaupt die Freude und Leidenschaft an intrinsisch motivierter Bildung.
Es war eine Einstiegsdroge in die Welt der Wissenschaft, und häufig folgten auf Tessloff-Bücher dann echte Fachliteratur, Abos von Fach- und Hobbyzeitschriften oder Experimentierkästen. Zumindest damals war WAS IST WAS seriös, glaubwürdig und kompetent. Im Kinderzimmer signalisierten sie Wissbegier: Je mehr der markanten Buchrücken das Regal bevölkerten, desto ausladender war der Bildungshorizont. Heute ist das anders. Heute gehört WAS IST WAS ins Marketingportfolio des Fastfood-Riesen Mc Donald’s.
Mc Donaldisierung der Bildung
Ungesundes Junkfood, Umweltverschmutzung, Müllerzeugung, Ausbeutung von Arbeitskräften, minderwertige Esskultur, mangelhafte Rohstoffe oder ein mieses Preis-Leistungs-Verhältnis, Mc Donald’s steht als Pionier der Systemgastronomie US-amerikanischer Provenienz für ein so ausbeuterisches wie destruktives Unternehmenskonzept, das durch eine geschickte Marketingstrategie den Aufstieg zum Weltmarktführer ermöglicht hat. Doch nicht nur das. Mc Donald’s okkupiert regionale Esskulturen und pfropft ihnen ein durch und durch kapitalistisches Ernährungsregime über, das sich über den zentralen gesellschaftlichen Wert des Essens mit all seinen kommunikativen und emotionalen Facetten in den jeweiligen Alltagskulturen ausbreitet – und zwar mehr oder weniger invasiv.
Passend dazu wurde eine besonders tückische Variante der kapitalistisch-rationalen Reorganisation von Gesellschaften mit dem Begriff Mc Donaldisierung bezeichnet. So bedeutet das Leben im lebenslangen Welt-Store die Herstellung größtmöglicher Effizienz auf Basis der Berechen- und Quantifizierbarkeit aller dafür relevanten Parameter, was aus Sicht des Konzerns, wahlweise der Regierung, der Bürokratie, des Chefs oder des Ich-Unternehmers zu Kontrolle, Steuerbarkeit und Vorhersehbarkeit führt. Die totale Objektivierung also, gespeist aus der Annahme der technischen Regulierbarkeit aller Phänomene und dem Glaube an die Verzwecklichung des Menschen im Dienste der grenzenlosen Kapitalakkumulation.
Kurz zusammengefasst, steht Mc Donald’s also für nichts Gutes, sondern im Gegenteil für eine eher üble Spielart des expansiven, reditegeilen Kulturimperialismus in Gestalt einer megalomanischen Burgerbraterei aus den USA. Um so schlimmer also, dass sich der Tessloff-Verlag mit seinen altehrwürdigen WAS IST WAS – Büchern diesem globalen Ausbeuter angedient hat. Effizienz, Berechenbarkeit und Kontrolle beherrschen nicht nur die internen Betriebs- und Produktionsabläufe des Unternehmens, sondern auch die längerfristigen Marketingziele. Und dabei spielen Kinder eine besondere Rolle: Stellt man bereits früh eine emotionale Bindung an die Marke her, schafft man sich nicht nur eine treue, sondern auch eine unkritische Kundschaft, die geflissentlich über all die Schweinereien des Unternehmens hinwegsieht. Das Thema Bildung fungiert hier als Nexus zwischen der perfiden Konsumentenbindung im Kindesalter und einem gesellschaftlich hochwertigen Gut: Das Böse kann ja so böse nicht sein, wenn es im Gewand, besser im Talar, des normativ Guten daherkommt. Tessloff hat sich dafür hergegeben.
Käuflichkeit: Vom Green- zum Kidswashing
Dass Wissenschaft käuflich ist, sollte in Zeiten der Drittmittelherrschaft an den Universitäten, gesponserten Studien und sonstiger Gefälligkeitsforschung landläufig bekannt sein. Bildung ist es nicht, zumindest noch nicht, was ihrer eher intrinsischen Natur geschuldet ist. Kinder explorieren, eigenen sich die Welt an – je jünger, desto ganzheitlicher, sinnlicher und unabhängiger von Interessen Dritter. WAS IST WAS hat dabei Unterstützung geleistet. Gut, die Bücher musste man auch kaufen. Doch jetzt wurde WAS IST WAS gekauft, oder besser: hat sich kaufen lassen, und zwar von Mc Donald’s, dem Inbegriff von Effizienz, Berechenbarkeit und Kontrolle – praktisch dem genauen Gegenteil der prinzipiell ergebnisoffenen, fluiden und durchaus auch widersprüchlich bis inkonsistenten Weltaneignung.
Der Umweltverschmutzer im Weltmaßstab, der täglich Millionen Menschen mit ungesundem Nährschleim abfüllt und Megatonnen an Verpackungsmüll auf den Straßen und Parkplätzen rund um den Globus verteilen lässt, kann sich keine Kratzer in seinem familienfreundlichen Hollywood-Image in Regenbogenfarben leisten und betreibt daher eine riesige Marketingmaschinerie mit Megabudget. Und da das Geschäftsmodell von Mc Donald’s in Zeiten von Fridays for Future und Klimawahndel leicht in Misskredit geraten kann, lautet das Gebot der Stunde nicht nur Greenwashing, sondern auch Kidwashing. Der Klimakleber von morgen will sich natürlich mit nachhaltigem und klimafreundlichen Junkfood mästen – und da kommt das Thema Bildung wie gerufen: Mc Donald’s unternimmt nicht nur etwas gegen den Bildungsnotstand, sondern hat auch besonders kluge Kunden in spe: Klug genug, um ein funktionierendes Rädchen im post-fordistischen Getriebe einer Mc-donaldisierten Dystopie zu sein, dumm genug, um das Geschäftsmodell der weltgrößten Fastfood-Kette samt all ihrer Implikationen nicht zu hinterfragen. Fragen Sie mich jetzt nicht, weshalb ich spontan an das Thema Corona denken muss.
Auf der Strecke bleiben dabei Image und Glaubwürdigkeit von Tessloff und WAS IST WAS, beides verscherbelt an einen ausbeuterischen Umweltverschmutzer, Krank- und Dickmacher. Eltern sollten sich fortan dreimal überlegen, ob sie ihren Sprösslingen ein verdummendes Happy Meal ® auf den Gabentisch legen – oder besser vielleicht einen echten Beitrag zu deren Bildung leisten möchten.