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Grundlagen der TR-Methode
Menschlichem Handeln liegt stets eine Absicht zugrunde, es hat immer einen persönlichen Nutzen für den Handelnden. Im Falle von Unterrichtsstörungen bezieht sich der primäre Nutzen auf das direkt angestrebte Handlungsziel (z.B. Kommunikation, Ablenkung, Reduktion von Langeweile), der sekundäre Nutzen beschreibt weitergehende oder verborgene Ziele (z.B. Zuwendung, Imagegewinn, Anerkennung bei Mitschülern als Folge des Störverhaltens).
Primärer und sekundärer Nutzen halten das Verhalten aufrecht, solange der subjektive Gewinn höher eingeschätzt wird, als daraus resultierende Nachteile oder Kosten (Ermahnungen, Ordnungsmaßnahmen, schlechte Noten). Um Schüler zu einer längerfristigen Reduktion von Störverhalten zu bewegen, ist es wichtig, die diesem zugrundeliegenden Handlungsmotive zu erkennen. Erst dann können die Jugendlichen bei der Formulierung alternativer / konstruktiver Handlungsstrategien begleitet werden.
Refraiming: Die Bedeutung eines Ereignisses oder einer Handlung ergibt sich immer aus dem situativen Kontext; eine Änderung des Blickwinkels hat stets eine Umdeutung zur Folge. Es wird unterschieden in Funktion (Absicht) und dem Verhalten selbst. Die Wirklichkeit des Individuums kann sich ändern, indem dieses seine Sicht auf ein Ereignis oder eine Handlung ändert. Jedes Verhalten hat eine Funktion für den Handelnden, der Sinn ergibt sich dabei aus dem Kontext. Es ist daher immer intentional und zielgerichtet aber muss dabei nicht zwangsläufig bewusst sein. Eine Veränderung des Kontextes im Beratungsgespräch bewirkt dabei eine Bedeutungsänderung und längerfristig eine Verhaltensmodifikation. Es wird der Versuch unternommen, den Schüler die Handlung aus einem anderen Blickwinkel betrachten zu lassen und so die Bedeutung der Handlung und somit das künftige Verhalten selbst zu ändern.
Unterrichtsstörungen sind dabei immer offene oder verdeckte Botschaften, die durch die Wahrnehmung und Beurteilung Dritter (Lehrer, Mitschüler) zu einer Störung werden. Auch die Verletzung von Übereinkünften und Regeln führt dazu, dass ein Verhalten als Störung gedeutet werden kann. Erst diese Fremdbeurteilung macht den Schüler zum Störer. Es kommt darauf an, die der Störung zugrundeliegende Botschaft oder Intention aufzudecken. Das signalisiert dem Schüler, verstanden zu werden und versetzt ihn in die Lage, über den Handlungskontext den Sinn des Störverhaltens zu ergründen und Alternativen zu entwickeln. Dies kann im Unterrichtsgeschehen kaum stattfinden, hierfür steht der Trainingsraum zur Verfügung.
Eigenverantwortung: Jeder Mensch ist für sein eigenes Tun verantwortlich, nur durch Eigenaktivität können Dinge geändert werden („Was mache ich mit mir, wenn die Dinge nicht so sind, wie ich sie haben möchte?“). Die Übernahme von Eigenverantwortung ist ein Lernprozess, den viele Schülerinnen und Schüler nicht durchlaufen haben. Gut erkennbar ist das z.B. an der Neigung zu externer Attribution, also dem Zuschreiben der Handlungsfolgen auf andere Personen oder Umstände. Daneben gibt es noch weitere Strategien, die Übernahme von Eigenverantwortung zu vermeiden (z.B. Teilen der Verantwortung mit anderen, andere beschuldigen, Gruppendruck). Dennoch liegt es ausschließlich in der Verantwortung der Schüler, in welcher Weise sie vom Unterricht profitieren (Lernverhalten) und wie sich der Unterrichtsverlauf situativ darstellt (Sozialverhalten). Ebenso können Lehrerinnen und Lehrer nur die Verantwortung für die von ihnen kommunizierten Inhalte übernehmen, jedoch nicht für das, was die Schülerinnen und Schüler daraus machen. Sie können lernmethodische Kompetenzen vermitteln, ihnen jedoch nicht das Lernen selbst abnehmen.
Rechte und Pflichten: Ein soziales Miteinander ist ohne strukturierende Normen und Regeln nicht möglich. Dies gilt insbesondere für zielorientierte institutionelle Zusammenhänge wie den Schulunterricht. Eigenverantwortung bedeutet, diese Normen und Regeln anzuerkennen und das eigene Verhalten entsprechend zu regulieren (Orientierung). Dafür ist es wichtig, den Sinn der Regeln für das gemeinsame Handeln zu erkennen. Die Einhaltung von Regeln kann jedoch nicht erzwungen werden, ebenso wenig die Erkenntnis, dass andere durch Regelverletzungen in der Wahrnehmung ihrer Rechte beeinträchtig werden können. Druck und Strafen sind dabei kaum zielführend, vielmehr kann eine Bereitschaft zur Verhaltensänderung durch respektvolle und konstruktive Gespräche gelingen.
Entscheidungen treffen: Die TR-Methode stellt an störende Schüler die Anforderung, sich für eine bestimmte Verhaltensoption zu entscheiden. Zuvor wurde bereits mit der Frage „Was tust du gerade“ die Aufmerksamkeit des Schülers auf das eigene Handeln gelenkt (Selbstbeobachtung). Entscheidungen sind bewusste Prozesse, die auf Basis von Urteilen getroffen werden. Dies schließt mit ein, antizipatorisch zu denken und die jeweiligen Konsequenzen der Entscheidungsoptionen zu bewerten – eine Vorrausetzung für Selbstkontrolle und Verhaltensänderungen.
Kooperative Gesprächsführung
Es ist nicht möglich, einen Menschen „von außen“ zu ändern, sondern nur, ihm dabei zu helfen, sich selbst zu verändern. Jeder Mensch konstruiert seine eigene Sicht auf die Dinge, letztlich seine eigene Realität. Die Umwelt dient lediglich als Anregung für Lernprozesse, die wesentlichen Impulse dafür kommen vom Lernenden selbst in seiner Auseinandersetzung mit der Umwelt.
Grundhaltung: In den TR-Gesprächen wird eine personenzentrierte Grundhaltung eingenommen, in der die Sichtweise des betreffenden Schülers von hoher Bedeutung ist. Diese Grundhaltung leitet sich aus der Annahme der humanistischen Psychologie ab, dass jeder Mensch die Kompetenz zur Lösung von Problemen in sich trägt. In der personenzentrierten Gesprächssituation werden äußere Bedingungen gestaltet, die den Klienten (den Schüler im TR) bei einer inneren Veränderung unterstützen. Eine Veränderung von Einstellung und Verhalten auf Seiten des Klienten ist am wahrscheinlichsten, wenn der Berater eine zugewandte Haltung einnimmt. Diese ist gekennzeichnet von:
Akzeptanz: Den Schülerinnen und Schülern wird im Trainingsraum ohne Vorurteile, Vorwürfe oder Abwehrhaltungen begegnet. Es besteht eine bedingungslose positive Wertschätzung gegenüber dem Schüler mit all seinen Eigenheiten und Konflikten (das bedeutet im Sinne der Trennung von Person und Handlung nicht das Gutheißen des Tuns). Der TR-Berater versucht, die Werte und Motive des Schülers wahrzunehmen und sie so sein zu lassen, auch wenn sie nicht mit den eigenen Werten kompatibel sind.
Empathie: Es wird versucht, die Dinge aus der Perspektive des jeweiligen Schülers zu sehen. Angestrebt wird ein einfühlsames und nichtwertendes Verstehen einer Handlung aus Sicht des Gegenübers. Für das Verständnis von Störverhalten ist es wichtig, die Innensicht der Schüler einzunehmen, um Motive, emotionale Befindlichkeiten oder Sinngebungen zu erkennen.
Kongruenz / Echtheit: Der TR-Berater tritt dem Schüler in einer echten, nicht-verstellten und transparenten Haltung gegenüber. Der TR-Berater bleibt im Gespräch stets der Mensch, der er tatsächlich ist und erlaubt dem Schüler so, eine konstruktive Beziehung einzugehen. Das schließt die Bereitschaft zur Selbstbeobachtung ein, insbesondere hinsichtlich der Übereinstimmung von nonverbalen Signalen (Gestik, Mimik, Aussprache etc.) mit Äußerungen und Emotionen, ebenso die zur Selbstklärung (Reflexion eigener Motive und Befindlichkeiten).
Diese Grundhaltung hilft dem Schüler beim Aufbau einer intrinsischen Motivation zur Verhaltensänderung, indem sie sich um echtes Verständnis bemüht und Selbstbestimmung fördert. Schüler sollen im Gespräch eigenständig Verhaltensalternativen formulieren, denn eine Verhaltensänderung kann nur durch den Schüler selbst geschehen. Gesucht wird im Gespräch nicht schwerpunktmäßig nach den Ursachen für ein Verhalten, sondern vielmehr um eine Lösungsorientierung: Der Schüler entwickelt selbständig eine Zielvorstellung, wie er künftig besser mit einer problematischen Situation umgehen kann.
Der TR-Berater hat in der Gesprächsführung eine inhaltliche und eine formale Aufgabe:
Inhaltlich: Verstehen der Schilderung des Schülers und Unterstützen beim Finden von Handlungsalternativen.
Formal: Leitung und Strukturierung des Gesprächs.
Formal besteht das TR-Gespräch aus drei Phasen:
- Das Verhalten des Schülers wird thematisiert: Der Schüler schildert das Ereignis aus seiner Sicht und sucht nach Hintergründen / Absichten / Ursachen.
- „Wie kommt es, dass du hier bist?“
- „Was könnte dein Lehrer wahrgenommen haben?“
- „Was könnten die anderen wahrgenommen haben?“
- „Wie hast du dich dabei gefühlt?“
- „Aus deiner Sicht: Was genau hast du gemacht?“
- Der Schüler sucht nach Ideen für alternative Verhaltensweisen.
„Was willst du erreichen?“
„Wie kannst du es schaffen, demnächst nicht mehr so zu reagieren?“
„Was kannst du stattdessen tun?“
„Welches Ziel möchtest du dir setzen?“
„Wenn du XY nicht mehr tust, was machst du stattdessen?“
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- Der Schüler formuliert einen Plan und fixiert ihn schriftlich.
„Was wirst du genau tun?“
„Wer könnte dir bei der Umsetzung helfen?
„Wie realistisch ist dein Plan?“
„Woran erkennt dein Lehrer, dass du nicht mehr störst?“
Methoden: Aktives Zuhören
Aktives Zuhören ist eine Methode der personenzentrierten Gesprächsführung nach Carl Rogers, die zum Ziel hat, das Gegenüber im Gespräch einfühlsam zu verstehen. Dies gelingt durch eine Atmosphäre der Aufmerksamkeit, der Zugewandtheit und des Respekts. Es ist das aktive kommunikative Bestreben, sich in den Anderen hineinzuversetzen und ihm durch die eigene Haltung mitzuteilen, dass er sich im Fokus der ungeteilten Aufmerksamkeit befindet.
Zu den wesentlichen Techniken zählen das
– Stellen offener Fragen,
– das Paraphrasieren,
– das Ansprechen von Gefühlen
– sowie das nonverbale Verhalten / kommunikative Kongruenz.
Offene Fragen
Offene Fragen sind explorativ und ermöglichen weitreichende, komplexe Antworten zum Thema. Sie dienen dem Verständnis von Ereignissen, Handlungen oder Absichten. Offene Fragen sind häufig prozessorientiert und fordern dazu auf, sich Sachverhalte zu vergegenwärtigen und in ein Thema hineinzudenken. Im Gegensatz dazu lassen sich geschlossene Fragen nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten, was einem kreativen Prozess der eigenständigen Lösungsfindung im Wege steht.
Beispiele:
- „Wie kommt es, dass du hier bist?“
- „Wie ist es zu der Störung gekommen?“
- „Wie könntest du erreichen, dass..?“
(Wie-/Was-Fragen sind besser als Warum-Fragen. Letztere zielen weniger auf den Prozess und mehr auf eine präzise Aussage ab.)
- „Was meinst du damit?“
- „Und wie verhältst du dich, wenn…?“
- „Woran erkennst du das?“
- „Was könntest du tun, um…“
Paraphrasieren
Bei der Technik des Paraphrasierens werden die Gedanken des Gegenübers in den eigenen Worten wiedergegeben. Wichtig ist dabei, das Gesagte nicht einfach zu wiederholen, sondern es mit den eigenen Worten einfühlsam neu zu formulieren. Im Rahmen des Aktiven Zuhörens dient das Paraphrasieren der Präzisierung des Gesagten (der Vermeidung von Missverständnissen), dem Aufdecken des Sinns sowie auch der Herstellung eines vertrauensvollen Gesprächsklimas.
Letzteres beruht auf dem Prinzip des Spiegels, bei dem eine symmetrische Gesprächsposition durch eine ähnliche, dem Gegenüber vertraute Wortwahl, hergestellt wird.
Paraphrasen können als Fragen formuliert werden:
- „Du meinst, dass….“
- „Möchtest du damit sagen, dass…“
- „Aha, du hast also erlebt, dass…“
Im Trainingsraum wird beim Paraphrasieren nicht nur das Gesagte wiedergegeben, sondern es kann auch mit einer Interpretation verbunden werden, die mit der Aussage des Schülers in Übereinstimmung gebracht werden soll:
- „Daraus schließe ich, du hast…“
- „Ich entnehme dem, dass…“
- „Das bedeutet also,…“
- „Das klingt so, als wenn…“
- „Deiner Meinung nach…“
Das Ansprechen / Verbalisieren von Gefühlen
Für das Gelingen einer kooperativen Gesprächsführung im Trainingsraum ist es nicht nur wichtig, den Schüler kognitiv zu verstehen, sondern auch emotional. Das nicht-wertende Wahrnehmen von Gefühlen durch den TR-Berater schafft zusätzlich Akzeptanz und kann einem Schüler dabei helfen, sich weitergehend mit seinen emotionalen Erlebnisinhalten auseinanderzusetzen. Durch die Verbalisierung fühlt sich der Schüler in seiner Ganzheitlichkeit wahrgenommen und akzeptiert. Nicht ausgesprochene Emotionen werden durch den TR-Berater geäußert, was dem Schüler die Möglichkeit gibt, diese zu reflektieren und ggf. Korrekturen vorzunehmen. Häufig ist das Aufkommen von Emotionen mit Körperreaktionen verbunden (z.B. schnelles Atmen, Gesichtsröte, Ballen der Fäuste), die vom TR-Berater aufgegriffen werden können.
Durch die Verbalisierung von Gefühlen kann eine kritische Trainingsraumsituation deeskaliert werden, da ein aufgebrachter Schüler spürt, auch in seinem Ärger oder seiner Enttäuschung ernst genommen zu werden. Dabei ist nicht zwingend notwendig, die wahrgenommenen Fremdgefühle mit höchster Genauigkeit zurückzumelden. Vielmehr kommt es darauf an, dem Schüler zu signalisieren, auch seine Gefühlswelt wahrzunehmen und zu respektieren.
Beispiel:
„Immer werde ich in den TR geschickt, die anderen sind aber viel lauter!“
- „Das klingt so, als seist du sauer, weil du dich ungerecht behandelt fühltest.“
- „Stimmt es, dass du wütend bist, weil…“
- „Ich merke, dass du aufgebracht bist…“
- „Wenn ich dir zuhöre, bekomme ich den Eindruck, dass…“
Verbale, nonverbale und paraverbale Anteile
55% Körpersprache – 38% Stimme – 7% Inhalt
Gemäß der 55-38-7-Regel (Albert Mehrabian, 1967) beträgt Anteil der verbal übermittelten Informationen nur 7% am gesamten Kommunikationsgeschehen. Allerdings wird diese Darstellung häufig missverstanden, da sich die Zahlenwerte auf die relativen Ausdrucksstärken der jeweiligen Kommunikationsanteile beziehen. So können stimmliche Elemente wie Betonung, Stimmlage oder Sprachfluss eine höhere Wirkung beim Empfänger erzeugen, als der gesprochene Inhalt, indem sie sie dem Inhalt eine bestimmte (emotionale) Färbung verleihen, die das korrekte Verstehen des Gesagten erschweren kann. Die 55-38-7-Regel ist daher vielmehr die Forderung nach Kongruenz, also der Ausdrucks-Übereinstimmung der unterschiedlichen Kommunikationsanteile.
Dabei sind:
verbale Anteile: das gesprochene Wort;
nonverbale Anteile: Gestik, Mimik, Kleidung, Körpersprache;
paraverbale Anteile: Stimme, Betonung, Aussprache, Lautstärke etc.
Kongruenz: Die Nachricht ist weitestgehend ein Produkt des Empfängers, denn dieser muss sie Dedkodieren und ihr eine bestimmte Bedeutung zumessen. Der Sender muss demgegenüber seine Kommunikationsinhalte in wahrnehmbare Zeichen übersetzen, wobei alle Sinnesmodalitäten (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Fühlen) einbezogen sein können. Während der verbale Inhalt in der face-to-face-Kommunikation gehört wird, können non- und paraverbale Anteile auch auf anderen Sinneskanälen empfangen werden.
Für eine gelingende Kommunikation ist es wichtig, dass alle Anteilsarten weitgehend übereinstimmen, sich gegenseitig bestätigen oder unterstützen. Durch diese Zusatzinformationen wird der (verbale) Inhaltsanteil qualifiziert, sie stellen für den Empfänger wichtige Interpretationshilfen dar. Bei mangelhafter Kongruenz fehlen dem Empfänger diese zusätzlichen Informationen, was die Interpretation des Gesagten erschwert oder gar unmöglich macht.
Auch im Trainingsraumgespräch kann der Berater in einen inkongruenten Modus verfallen, was häufig unbemerkt geschieht. Bedeutsam können hier z.B. Unstimmigkeiten zwischen der (offiziellen) Rolle des TR-Beraters und seiner Persönlichkeit sein. Um dem vorzubeugen, sollte der TR-Berater auf der rationalen sowie auf der emotionalen Ebene wissen, was er (für sich und den Schüler) erreichen will. Dazu ist es hilfreich, im Zuge einer Selbstklärung zu innerer Klarheit zu finden.
Selbstklärung und die „Vier Seiten einer Nachricht“
Diese Selbstklärung lässt sich anhand der „Vier Seiten einer Nachricht“ nach Schulz von Thun gestalten. In diesem populären Modell hat eine Nachricht vier unterschiedliche kommunikative Aspekte:
Sachinhalt: Die reine Sachinformation. Das, worüber ich rede.
Selbstoffenbarung: Informationen über die sprechende Person. Das, was ich von mir preisgebe.
Beziehung: Kommunizieren bedeutet immer, eine Beziehung zum Gegenüber einzugehen. Das, was ich vom anderen halte, wie wir zu einander stehen.
Appell: Offene oder verdeckte Einflussnahme. Das, wozu ich den anderen veranlassen möchte.
Im Falle von Trainingsraumgesprächen kann sich die Gesprächsvorbereitung weniger auf das jeweilige Gegenüber beziehen, weil der TR-Berater in aller Regel nicht weiß, wer als nächstes zum Gespräch erscheint. Im Zentrum steht hier die Art des Gesprächs, das hier eine Konsequenz auf ein Störverhalten, einen Regelbruch ist. Es handelt sich zudem fast immer um ein unfreiwilliges Gespräch, dem die betreffenden Schülerinnen und Schüler vielleicht sogar mit Abneigung gegenüberstehen. In jedem Fall handelt es sich um ein Zielgespräch, das die Vereinbarung zu alternativen Handlungsweisen beinhaltet.
Beispielsfragen zur Selbstklärung anhand der „Vier Seiten einer Nachricht“ bei TR-Gesprächen:
Sachinhalt:
- Was ist mein Standpunkt?
- Was ist meine Haltung zu Regeln im Unterricht?
- Welche Begründungen habe ich?
- Welche Themen spielen eine Rolle?
- Welche Hintergrundinformationen gibt es (z.B. familiäre Probleme)?
Selbstoffenbarung:
- Welche Aspekte meiner Selbstoffenbarung sind mir wichtig?
- Inwiefern stimmen sie mit meiner Rolle als TR-Berater überein?
- Wie erlebe ich die Gesprächssituation?
- Was löst mein Gegenüber in mir aus?
- Welcher Anteil meiner Reaktion auf mein Gegenüber ist realitätsangemessen und klar?
Beziehung:
- Wie ist unsere Beziehung?
- Welchen Einfluss hat meine Rolle als TR-Berater auf unsere Beziehung?
- Welche beziehungsrelevanten Interessen könnte ich bei meinem Gegenüber verletzen? (In einer gestörten Beziehung können kaum mehr konstruktive Lösungen gefunden werden)
Appell:
- Welche Wünsche / Forderungen habe ich den Schüler?
- Was ist das Ziel des Gespräches?
- Wie drücke ich mich unmissverständlich aus?
Hilfreiche Formulierungen / Fragen vs. Gesprächsblockierer
Menschen orientieren sich an ihren individuellen und persönlichen Vorstellungen über sich und die und Welt, in der sie leben. Diese subjektiven Theorien helfen ihnen, ihr Denken und Handeln zu gestalten und ihre individuellen Wirklichkeiten zu konstruieren. In Trainingsraumgesprächen ist oft zu beobachten, dass Schülerinnen und Schüler an sehr starren Gedanken, Annahmen oder Konstrukten festhalten. Diese subjektiven Theorien sind im zeitlichen Rahmen von Trainingsraumgesprächen schwer veränderbar, was das Auffinden von Handlungsalternativen limitiert (daher können freiwillige Nachgespräche im Trainingsraum angeboten werden). Dennoch sind es häufig diese subjektiven Theorien, die das Störverhalten von Kindern und Jugendlichen bedingen. Vor diesem Hintergrund soll die Gesprächsführung dazu dienen, festsitzende Ansichten so zu erkennen und zu klären, dass günstigere Handlungsalternativen gefunden werden können. Es geht also um die Entfaltung der eingeschränkten Sichtweise des Schülers.
Vorhaben / Ziele positiv formulieren und Unterschiede zum bisherigen Verhalten verdeutlichen: Ziele werden von Schülern häufig in negativer Form formuliert („Ich spreche nicht mehr laut mir meinem Nachbarn“). Besser ist, durch eine positive Umformulierung eine konkrete Verhaltensänderung zu verdeutlichen, was durch die Worte „sondern“, „stattdessen“, „ändern“ geschehen kann.
„Du sagst, dass du nicht mehr laut mit deinem Nachbarn sprichst. Was willst du stattdessen tun?“
„Du möchtest nicht mehr in den Unterricht rufen, sondern…“
„Du hast vor, nicht mehr laut zu sein. Was genau möchtest du ändern?“
Betonung des künftigen Verhaltens: Häufig fokussieren Schüler auf gegenwärtige Gefühle und Verhaltensweisen, was die Beschäftigung mit einer künftigen Verhaltensänderung erschwert („Ich kann das nicht“, „Ich hasse die Schule“). Es kann ratsam sein, in der Paraphrasierung auf Veränderungen hinzuweisen, was mit Worten wie „bisher“ oder „bis jetzt“ geschehen kann:
„Du sagst, dass dir das bisher nicht gelungen ist.“
„Bisher fühlst du dich in der Schule also nicht wohl.“
„Du fühlst dich von deinem Lehrer bis jetzt ungerecht behandelt.“
Auch mit Fragen lassen sich TR-Gespräche konstruktiv gestalten:
Zirkuläre Fragen: Mit zirkulären Fragen wird der Schüler veranlasst, die eigene Perspektive zu verlassen und die einer anderen Person zu übernehmen. Auf diese Weise können problematische Verhaltensweisen umfassender reflektiert werden.
„Was glaubst du, wie Herr Müller das wahrgenommen hat?
„Wenn ich deinen Freund fragen würde, was denkst du, würde er dazu sagen?“
„Woran genau wird Herr Müller merken, dass du aufmerksamer bist?“
Fragen nach Ausnahmen: Situationen, in denen Störverhalten regelmäßig nicht auftritt, sind Hinweise auf Ressourcen und günstige situative Rahmenbedingungen. Dadurch lassen sich weitere Ideen finden, wie künftiges Störverhalten vermieden werden kann.
„In welchen Situationen kannst du dich denn gut konzentrieren?“
„Wann bist du denn nicht so aufgeregt?“
„Wann kommst du gut mit Frau Meier klar?“
„Wann konntest du zuletzt gut im Unterricht mitarbeiten?“
Gesprächsblockierer / Kommunikationssperren:
Ebenso gibt es Formulierungen und Aussagen, die den Verlauf eines konstruktiven TR- Gespräches blockieren und damit das Erkennen und Verändern subjektiver Theorien verhindern können. Dies geschieht, indem der Schüler in seiner Selbstreflexion gestoppt wird und sich mit den Äußerungen des TR-Beraters auseinandersetzen muss. Dazu zählen:
- Warnen, mahnen, drohen:
- „Das hättest du besser nicht getan.“
- „Wenn du das nochmal tust, garantiere ich dir…“
- „Du wirst schon sehen, wo das hinführt!“
- Befehlen:
- „Du musst dich mehr zusammenreißen!“
- Analysieren, Diagnostizieren:
- „Das machst du nur, weil du überfordert bist.“
- „Du willst immer im Mittelpunkt stehen und brauchst Aufmerksamkeit.“
- Bewerten
- „So bist du aber auf dem falschen Weg.“
- „Das war ziemlich blöd von dir!“
- Von sich selbst reden:
- „Das kenne ich, ich bin manchmal auch so impulsiv.“
- „Deutsch fand ich damals auch immer langweilig.“
- Bagatellisieren:
- „So schlimm ist das doch nicht.“
- „Du hast ja Probleme…“
- Generalisieren:
- „Du reagierst immer verkehrt.“
- „Dann wirst du das nie lernen.“
- Vorwürfe machen:
- „Warum hast du dich denn wieder nicht im Griff gehabt?“
- „Das hättest du dir ja denken können.“
- Gegenbehauptungen aufstellen:
- „Das kann nicht sein, Herr Müller macht das nicht.“
- „Andere sehen das aber anders.“
- Dogmatisieren, Moralisieren:
- „So verhält man sich doch nicht als Neuntklässler.“
- „Das ist typisch in der Pubertät.“
Die Erstellung eines Planes
In der letzten Phase des TR-Gespräches erstellen die Schülerinnen und Schüler einen Plan, der konkrete Handlungsalternativen enthält, um künftiges Störverhalten zu vermeiden. Dieser Plan wird zunächst mündlich erarbeitet (im Dialog mit dem TR-Berater) und anschließend verschriftlicht. Er muss mindestens eine Alternative zum störenden Verhalten beinhalten.
Dabei ist es wichtig, dass die formulierten Ziele
- positiv („Was kannst du stattdessen tun?“),
- prozesshaft (Wie kannst du das erreichen?“),
- gegenwartsbezogen („Du bist dabei dich zu ändern. Was kannst du anders machen?“),
- spezifisch („Was wirst du im Einzelnen tun?“),
- im Kontrollbereich des Schülers („Was wirst du tun?“),
- in der Sprache des Schülers („Du wirst also…“)
sind.
Wichtig ist, dass sich die Ziele im Kontrollbereich der Schüler befinden müssen, da nur diese Einfluss auf ihr eigenes Erleben und Verhalten haben.
Weiterhin sollten die Pläne
- kleinschrittige,
- beobachtbare und
- überprüfbare
Ziele enthalten, die positiv formuliert sind.
Im Falle unklarer, allgemeiner Formulierungen („Ich störe nicht mehr.“, „Ich reiße mich mehr zusammen.“), kann mit gezielten Fragen präzisiert werden:
- „Wie genau möchtest du das erreichen?“
- „Was muss geschehen, damit…?“
- „Was kannst du konkret unternehmen?“
Anhang: Operante Konditionierung und Lerntheorien
Verstärker: Stimulus, der Verhaltenswahrscheinlichkeit erhöht.
- positive Verstärkung: Ein positives Ereignis folgt erwünschtem Verhalten.
- negative Verstärkung: Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von erwünschtem Verhaltendurch Ausbleiben eines unangenehmen Reizes. Auch kann es zur Aufrechterhaltung von Vermeidungsverhalten kommen (Verstärkung durch Ausbleiben von Angstzuständen).
Bestrafung: Stimulus, der Verhaltenswahrscheinlichkeit reduziert.
- Strafe I (positive Bestrafung): Negativer (aversiver) Reiz folgt auf unerwünschtes Verhalten.
- Strafe II (negative Bestrafung): Angenehmes Ereignis bleibt nach unerwünschtem Verhalten aus.
Extinktion (Löschung): Abnahme der Verhaltenswahrscheinlichkeit durch Nichtverstärkung (Ignorieren) bis zum zufälligen Auftreten.
Kontingenz: Es ist eine kausale Korrelation zwischen Verhalten und gesetztem Stimulus (Verstärker, Bestrafung) notwendig. Es darf nicht verstärkt / bestraft werden, wenn Verhalten nicht auftritt. Notwendig ist auch Kontiguität, der zeitliche Zusammenhang zwischen Verhalten und Konsequenz.
Grundsätzlich empfiehlt es sich, im pädagogischen Kontext weitestgehend auf Strafen zu verzichten und mit Verstärkern zu arbeiten, da Strafen mit Nachteilen behaftet sind:
- Strafen beinträchtigen die Beziehung und damit eine Grundlage für gelingende Erziehung.
- Unerwünschtes Verhalten wird nur unterdrückt, positive Verhaltensalternativen werden jedoch nicht entwickelt.
- Strafen führen zu belastenden Emotionen wie Angst oder Wut. Sie beeinträchtigen u.U. die Würde des Bestraften.
- Strafen führen zu Vermeidungsverhalten ohne Einsicht in die Folgen des Tuns.
- Strafen können Selbstwertgefühl und Identität beeinträchtigen.
- Negatives Vorbildverhalten (Modelllernen).
- Strafen können Gegenaggressionen (Opposition, Reaktanz, passive Aggression) hervorrufen, was in einen Teufelskreis führen kann.
Übersicht über die wichtigsten lerntheoretischen Ansätze:
- Behaviorismus:
- Klassische Konditionierung (Pawlow, Watson): Ein zunächst neutraler Reiz löst konditionierte Reaktion aus (heißes Bügeleisen, Hand).
- Operante Konditionierung (Thorndike, Skinner): Es besteht eine funktionale Beziehung zwischen der Reaktion des Organismus und darauf folgenden Reizen.
- Annahmen: Jedes Verhalten wird durch äußere Reize ausgeführt (Reizkontrolle durch die Außenwelt), Verhalten kann nur von außen beobachtet werden; mögliche innerpsychische Prozesse bleiben sind kein Forschungsgegenstand („Black-Box-Modell“).
2. Kognitive Wende (Chomsky, Bandura)
- Es wurde deutlich, dass behavioristische Modelle zur Erklärung menschlichen Verhaltens nicht ausreichen.
- Menschen nehmen Informationen auf, verarbeiten sie, speichern sie und wenden sie an. Sie lernen durch Einsicht durch Anschauung von Modellen.
- Menschen lernen durch das Verstehen von Inhalten und durch die Auseinandersetzung mit ihnen.
3. Konstruktivismus (Piaget, Dewey, Wygotzki)
- Lernen ist kein bloßes Reagieren auf Reize aus einer objektiven Welt, sondern der Aufbau einer subjektiven Realität, abhängig von der jeweiligen Prägung des Individuums.
- Wissen kann nicht von außen in Individuen übertragen werden, sondern wird von diesen immer aktiv konstruiert.
- Der Lehrer (TR-Berater) ist weniger ein Wissensvermittler, sondern unterstützt den Schüler durch ein adäquates Maß an Begleitung an der aktiven Konstruktion von Wissen.
- Lernen ist eine aktive Wissenskonstruktion, es ist ein individueller Vorgang (Abhängig von Vorerfahrungen, sozialer Prägung, sozialer Interaktion etc.) und kann nur vom Individuum selbst vollzogen werden.
Aus lerntheoretischer Perspektive bewegt sich die Trainingsraum-Methode überwiegend in kognitivistischen und konstruktivistischen Denkmodellen. Einsicht in die Notwendigkeit von Regeln und deren Einhaltung zur Aufrechterhaltung einer gemeinsamen und für alle Beteiligten profitablen Ordnung entspricht der kognitivistischen Tradition. Die personenzentrierten TR-Gespräche und die kooperative Dialogführung mit den Techniken des Aktiven Zuhörens haben das Ziel, das Gegenüber in seiner individuellen Realtitätskonstruktion zu verstehen und – sofern möglich – eine Umdeutung / Neukonstruktion zu unterstützen (Konstruktivismus). Auf Ebene behavioristischer Modelle kann von negativer Verstärkung gesprochen werden, sofern Schüler den Trainingsraumbesuch als belastend empfinden und ihn künftig vermeiden wollen, ebenso aber auch von positiver Verstärkung, sofern sie sich verstanden und angenommen fühlen (hier können freiwillige Nachgespräche vereinbart werden).